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Die „nachhaltige“ EU Taxonomie: Wie sich die Europäische Union ein Eigentor schießt

Veröffentlicht am 26. April 2023

Die EU Taxonomie trat im Juli 2020 in Kraft, um einen klaren Rahmen für nachhaltiges Wirtschaften und Investments zu schaffen. Nachdem die Europäische Kommission kürzlich neue Änderungen veröffentlicht hat, bittet sie nun um Feedback – das geben wir gerne! Was die EU Taxonomie ist und was wir von ihr halten, könnt ihr hier nachlesen.

Was ist die EU Taxonomie? Bedeutung und Ziele der EU Taxonomie Verordnung

In seinem letzten Buch „No Miracles Needed“ versichert der renommierte Klimaforscher Mark Jacobson, dass die technischen Lösungen zur Bekämpfung der Klimakrise klar sind. Was aber genauso klar ist: Wir brauchen ein politisches Wunder. 

Die Europäische Union ist mit von der Leyen als Präsidentin und seit der Verabschiedung des Green Deals 2019 sehr damit bemüht, die Klimakrise zu bekämpfen. Im Juli 2020 trat dann die EU Taxonomie in Kraft. Diese dringend benötigte Gesetzesänderung soll klare Rahmenbedingungen für nachhaltige Unternehmen und Investitionen schaffen.

Was ist das konkrete Ziel der EU Taxonomie? Eine umfangreiche Liste mit Kriterien, wann Wirtschaftstätigkeiten als ökologisch nachhaltig definiert werden. Das soll Investor:innen helfen, Umweltfaktoren bei ihren Entscheidungen mit einzubeziehen. Mit anderen Worten, damit sie Geld in die richtige Richtung lenken können. Ab jetzt müssen zunächst große Unternehmen (auch Finanzdienstleistungsunternehmen) qualitative und quantitative Informationen über ihre Bemühungen offenlegen, wie sie zur Eindämmung des Klimawandels beitragen, und sich daran anpassen. Die Pflicht wird schrittweise auf kleinere Unternehmen ausgeweitet.

Allerdings haben die EU-Gesetzgeber*innen wichtige Punkte aus der EU Taxonomie ausgeklammert, um sie durch einen sogenannte delegierten Rechtsakt zu regeln – das sind Änderungen oder Ergänzungen der primären Gesetzgebung, die eigentlich für technische Fragen gedacht sind. Diese unterliegen jedoch leider nicht im gleichen Maß der Kontrolle der Ministerien und des Parlaments. 

Während die Unternehmen ihre ersten Jahresberichte im Rahmen der EU Taxonomie abschließen, bittet die Europäische Kommission um Feedback zu den kürzlich veröffentlichten neuen Kriterien und zu den Ergänzungen in den delegierten Rechtsakten. Während dieser vierwöchigen Feedbackphase, die noch bis zum 3. Mai 2023 läuft, können Bürger*innen und Organisationen ihre Meinung teilen – und viele haben das bereits getan. Am 18. April erklärten Greenpeace und andere Umweltgruppen, dass sie die Europäische Kommission wegen der Entscheidung, Kernenergie und Erdgas im delegierten Rechtsakt der Taxonomie als klimafreundlich einzustufen, vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen werden.

Wir von Tomorrow glauben an eine klimafreundliche Gesetzgebung und wollen zeigen, wie wichtig und erfolgreich sie im Kampf gegen die Klimaerwärmung sein kann. Deswegen werden wir unser Feedback zur EU Taxonomie direkt an die Europäische Kommission senden. Und das, obwohl wir aufgrund unserer derzeitigen Größe (weniger als 250 Mitarbeitende) und der Art unserer Produkte noch gar nicht dazu verpflichtet sind, im Rahmen der EU Taxonomie zu berichten. Trotzdem – oder gerade deswegen – wollen wir uns an der Debatte beteiligen. Wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, uns Gehör zu verschaffen, um unseren Planeten zu schützen und eine bessere Zukunft für alle zu schaffen. Die EU Taxonomie berührt uns bei Tomorrow tief, da es den Grund, warum Tomorrow gegründet wurde, betrifft: Wir wollen dafür sorgen, dass das Geld in die richtige Richtung fließt.

Warum uns die EU Taxonomie Verordnung Sorgen bereitet

Geld muss in die richtige Richtung gelenkt werden

Die Daseinsberechtigung der EU Taxonomie besteht darin, zu definieren, unter welchen Bedingungen wirtschaftliche Aktivitäten als nachhaltig gelten und somit Investitionen in grünere Projekte oder Unternehmen zu lenken. Es ist also extrem wichtig, dass wir die Spielregeln dafür korrekt festlegen. Ausnahmen für umstrittene Branchen wie Kernkraft, Erdgas oder Luftfahrt torpedieren diese Spielregeln. Dadurch wird ermöglicht, dass Aktivitäten als „nachhaltig“ eingestuft werden, obwohl sie kontraproduktiv für die Bekämpfung der Klimaerwärmung und Reduzierung von Emissionen sind. Logischerweise besteht hierdurch das Risiko, dass klimaschädliche Industrien weiter bestehen und finanziert werden. 

Der Entwurf soll eine Vorlage für eine soziale EU Taxonomie sein

Derzeit deckt die Taxonomie-Verordnung hauptsächlich ökologische Nachhaltigkeit ab. Soziale und unternehmerische Faktoren werden nur durch Mindeststandards (hauptsächlich UN-Leitprinzipien und OECD-Leitlinien) abgedeckt. Seit 2012 wird an der sozialen EU Taxonomie gearbeitet. Diese legt den Schwerpunkt auf Themen wie Menschenrechte, Zugang zur Gesundheitsversorgung, Unternehmensführung, Gleichstellung, Nichtdiskriminierung oder menschenwürdige Beschäftigung. Diese Sozial-Taxonomie soll die ökologische Transformation sozial gerecht und inklusiv gestalten. Die grüne EU Taxonomie gibt Tempo, Umfang und Ton für die Sozial-Taxonomie an. Wir sollten deswegen dafür sorgen, dass sie streng und ausführlich genug ist, um eine gute Vorlage für die Sozial-Taxonomie zu sein.

Weil wir daran glauben, dass wir Klimagesetze mitgestalten müssen

Laut des Grantham Research Institute on Climate Change der London School of Economics wurden seit 2012 mehr als 500 Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung eingeleitet. Sie zeigen, dass Bürger*innen und Organisationen viel erreichen können, wenn sie sich zusammentun und gemeinsam Regierungen oder Unternehmen für ihr Handeln zur Verantwortung ziehen. Wir können die Klimapolitik auf die unterschiedlichsten Arten beeinflussen – Regierungen zu verklagen ist wohl eine der aggressivsten Methoden. Es lohnt sich aber auch, Feedback zu geben und Vorschläge zu machen: Die Clean Air Task Force – eine Organisation, die von Tomorrow Zero Accounts unterstützt wird – arbeitet an Programmen und Strategien zur Reduzierungen von Methanemissionen, zur Einführung von kohlenstofffreien Kraftstoffen sowie zur Entwicklung der Infrastruktur für Kohlenstoffbindung und -speicherung. Dank ihrer aktiven Beiträge hat die EU Fortschritte bei den Methanstrategien erzielt. Im Moment können Bürger*innen und Organisationen ihr Feedback zur EU Taxonomie geben und haben damit die Möglichkeit, gehört zu werden.

Kritik und Herausforderungen der Taxonomie

Die Ergänzungen untergraben den Zweck und die Integrität der EU Taxonomie

Gerade weil der eigentliche Zweck der EU Taxonomie so sehr auf den Unternehmenszweck von Tomorrow und unsere Produkte einzahlt, müssen wir verhindern, dass die Kriterien aufgeweicht werden. Die Öffnung für umstrittene Sektoren untergräbt die Integrität und Effektivität der EU Taxonomie und liefert damit womöglich ein falsches Vorbild für weitere Regulierungen wie die kommende Sozial-Taxonomie.

Darüber hinaus sind die derzeit vorgeschlagenen Änderungen nicht streng genug: Sie erlauben nicht nur, dass umstrittene Aktivitäten weiter betrieben werden können, sondern legen hierfür auch noch großzügige Grenzwerte fest – was das Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu sein, komplett auf Spiel setzt. Schauen wir uns zum Beispiel die Nachhaltigkeitskriterien für Erdgas oder Kernenergie an: Die vorgeschlagenen Grenzwerte sind viel zu großzügig und würden dafür sorgen, dass die EU ihr Ziel der Klimaneutralität komplett verfehlen würde. Die Taxonomie erlaubt zurzeit für Kernenergie einen Höchstwert von 100 g CO₂e/kWh pro erzeugter Energieeinheit. Laut Umweltbundesamt lagen die Emissionen für Kernenergie im Jahr 2020 bereits bei 117 g CO₂e/kWh. Das Gleiche gilt für die Grenzwerte für Erdgas. Die Grenzwerte liegen so nah an den aktuellen Emissionen, dass sie uns nicht ansatzweise realistisch in Richtung der Netto-Null bringen können. Außerdem erhalten hierdurch andere Energiequellen mit einem geringeren Fußabdruck weniger Aufmerksamkeit und Geld, z. B. Photovoltaik (ca. 33 g CO₂e/kWh) oder Windkraft (etwa 7 bis 9 g CO₂e/kWh).

Eigentlich ist es Greenwashing für Erdgas und Kernenergie

Die EU hat gerade einen Entwurf veröffentlicht, um gegen Greenwashing von Unternehmen vorzugehen. Gleichzeitig können die Änderungen der EU Taxonomie Greenwashing erleichtern.

Wir sind der Meinung, dass die Aufnahme von Erdgas, Kernenergie und in gewissem Maße auch Luft- und Seefahrt in die EU Taxonomie und die damit verbundene Kennzeichnung als „nachhaltig“ nicht akzeptabel ist. Und wir sind nicht die einzigen. Greenpeace, ClientEarth, WWF und weiteren Gruppen haben die EU wegen der Ausnahmen in Bezug auf Gas und Atomkraft verklagt. Österreich hat bereits letztes Jahr im Oktober beim Gericht der Europäischen Union eine Klage gegen genau diesen Teil der EU Taxonomie eingereicht.

Erdgas und Kernenergie werden in der Taxonomie als Brückentechnologien bezeichnet, die helfen sollen, Klimaneutralität in Europa bis 2050 zu erreichen. Wir sehen in diesen Zusätzen jedoch einen Verstoß gegen die EU-Klimagesetze und fürchten, dass Greenwashing hierdurch erleichtert und weniger Investitionen in erneuerbare Energien fließen.

Kernenergie ist nicht sauber, nicht billig, keine sichere Energiequelle und zu langsam, um die Klimaerwärmung aufzuhalten (mehr dazu bei Greenpeace). Kernkraftwerke zu bauen, dauert in Europa durchschnittlich ein bis zwei Jahrzehnte. Der Bau weiterer Anlagen lenkt nur vom Ausbau erneuerbarer Energien und dem Kohleausstieg ab und führt zu noch mehr Umweltverschmutzung und möglicherweise sogar Unfällen. Kernenergie ist keine Übergangslösung und erzeugt gefährliche Abfälle. Kernkraftwerke sind auch nicht flexibel genug, um die erneuerbaren Energien in Zeiten von Energiespitzen zu ergänzen. Es dauert lange, die Anlagen an- und abzuschalten, und wir werden nicht einmal in der Lage sein, auf kurzfristige Änderungen der Energienachfrage zu reagieren.

Auch Erdgas als nachhaltig zu definieren ist absurd. Die Produktion und die Verbrennung von Erdgas setzt CO₂ frei. Spanien, Dänemark und andere Mitgliedstaaten argumentieren, dass es unglaubwürdig ist, Erdgas deswegen als klimafreundlich zu bezeichnen. Es widerspricht den eigenen wissenschaftlichen Empfehlungen der EU und untergräbt die Glaubwürdigkeit der EU-Klimamaßnahmen grundlegend.

Auch die Luftfahrtindustrie drängt darauf, dass neue „effiziente“ Flugzeuge, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, als umweltfreundliche Investitionen eingestuft werden.

Laut Transport & Environment (T&E) „könnten mehr als 90 Prozent der Aufträge von Airbus als umweltfreundlich eingestuft werden und fast ein Drittel der künftigen Flotte des Billigflugriesen Ryanair würde die Grenzwerte der EU Taxonomie einhalten“. So könnten Millionen von Euro in einige der größten Umweltverschmutzer Europas fließen, natürlich mit dem Etikett „nachhaltig“. T&E wies auch auf das Schlupfloch Container- und Kreuzfahrtschiffe hin, die mit Flüssiggas betrieben werden: Technisch gesehen stoßen LNG-Treibstoffe weniger CO₂ aus als herkömmliche Kraftstoffe, was ihre Aufnahme in die Taxonomie rechtfertigen soll. Dabei vernachlässigen die EU-Kriterien allerdings die Emissionen von Methan und nachgelagerte Emissionen von Flüssiggas. Dadurch ist Flüssiggas oft schlechter für das Klima als herkömmlichen Kraftstoffe. Somit besteht für die Schifffahrt kein Anreiz, in nachhaltige Schiffskraftstoffe zu investieren. Stattdessen profitiert sie weiterhin von „Green Investments“ in Schiffe, die vollständig mit fossilen Kraftstoffen betrieben werden.

Was können und sollten wir für eine bessere Zukunft tun

Man kann die Taxonomie als eine Anleitung dafür verstehen, welche Aktivitäten am nachhaltigsten sind – und zwar in so ziemlich allen Sektoren. Allerdings sollte sie niemals das Ziel der EU gefährden, klimaneutral zu werden. Stattdessen muss die Taxonomie ein Mittel der EU sein, Unternehmen und Industrien dazu zu drängen, ihren Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten. Hier ist ein Teil dessen, was unserer Meinung nach getan werden sollte:

Gas und Kernkraft streichen

Bestimmte Sektoren wie Gas und Kernkraft sollten überhaupt nicht in die Taxonomie aufgenommen werden, selbst wenn wir in diesen Sektoren nachhaltigere Alternativen ausmachen könnten. Wir verlangen strengere Regeln für Luft- und Seefahrt. Wir dürfen nicht zulassen, dass Branchen und ihre jeweiligen Produkte und Dienstleistungen den Stempel „nachhaltig“ bekommen, nur weil sie „lockere“ Kriterien erfüllen. Dies würde es ermöglichen, dass weiterhin Investitionen in klimaschädliche Aktivitäten fließen, ohne diese zu zwingen, ihre Klimabilanz weiter zu verbessern.

Unternehmen auf ihrem Weg unterstützen

Die Anforderungen der Taxonomie zu erfüllen, wird für viele Unternehmen ein langer Weg sein. Die EU sollte auch dafür sorgen, dass die richtigen Instrumente und Programme zur Verfügung stehen, um die Umsetzung zu fördern. Außerdem sollten auch nicht-nachhaltige Sektoren zur Umsetzung der Kriterien verpflichtet werden.

Lasst eure Stimmen hören

Wir haben das Glück, in einer Mehrstaaten-Demokratie zu leben, und sollten jede Chance nutzen, unsere Stimmen zu erheben. Wir ermutigen unsere Community, euch uns anzuschließen und der Europäischen Kommission direkt Feedback zu geben. Gemeinsam setzen wir den Europäischen Green Deal durch.

 

Schaut euch auch die Alternativen an, die als kritische Antwort auf die Taxonomie geschaffen werden. Eine davon ist zum Beispiel Greenwashed.net.